Universität Stuttgart
12.12.2022 Veranstaltungsrückblick

Energiewende und Fachtagung VDE Hochspannungstechnik 2022

08.-10. November 2022 in Berlin

www.vde-hochspannungstechnik.de/2022

Die Fachtagung VDE Hochspannungstechnik ist ein etabliertes Forum für Austausch, Networking und Wissenserweiterung für Anwender und Experten zu allen Gebieten der Hochspannungstechnik. In diesem Jahr stand die Energiewende im Zentrum vieler Beiträge. Nachhaltige Lösungen werden mit sichtbarem Einsatz verfolgt und umgesetzt. Grundsätzlich stellt die Hochspannungstechnik eine Säule der Energiewende dar, denn sie ermöglicht den Ausgleich des regional und zeitlich schwankenden Angebots an erneuerbaren Energien durch effizienten Energietransport über große Entfernungen. Energiewende bedeutet zukünftig Elektrifizierung der Sektoren Wärme und Mobilität, dies besagen alle wesentlichen Studien. Die Bedeutung der Hochspannungstechnik wird also zunehmen.

Wie ein roter Faden zogen sich die Verzögerungen der Energiewende durch Vorträge, Diskussionen und Pausengespräche; es geht viel zu langsam voran. Das hat zum einen technische Ursachen, denn das Problem der Speicherung elektrischer Energie bleibt im großtechnischen Maßstab ungelöst. Lösbar aber wären zum anderen die organisatorischen Probleme wie überbürdende Bürokratie (zwei Jahre Bauzeit einer Trasse vs. 14 Jahre Planungszeit) und die politische Konsequenz, sich eindeutig gegen not-in-my-backyard-Bewegungen zu stellen. Schockierend klar wurde, dass selbst bei Lösung der technischen, organisatorischen und politischen Probleme die Fachkräfte fehlen, um die Wende durchzusetzen. Studienanfängerzahlen sind an allen Universitäten und Hochschulen gering bis rückläufig – eine düstere Perspektive.

Netzausbau, Ersatz von SF6 und Supraleitung waren Themen der Keynote Speaker. Die eingereichten Beiträge reichten von Technologien wie HV-DC über Mittelspannungs-DC und Diagnostik und Asset Management bis zu vermehrten Beiträgen zur Elektromobilität. Feldberechnungen und Isolationskoordination, als fester Teil der Hochspannungstechnik, finden nun hier ihre Anwendung. In vielen Beiträgen wurden Energiekabel betrachtet, z. B. unter dem Aspekt der Teilentladungsmessung bei DC. Dies zeigt das weite Spektrum, welches die Hochspannungstechnik inzwischen abdeckt. Nach den Vorträgen kam es oft zu offenen und engagierten Diskussionen, ein echter Mehrwert der Fachtagung.

Der Rahmen der Fachtagung gab eine exzellente Möglichkeit zum Networking zwischen den Teilnehmern. Dies wurde wie immer sehr rege für fachliche und soziale Gespräche genutzt. In dieser fokussierten, trotzdem kreativen und entspannten Atmosphäre sind so sicher einige neue, spannende und zukunftsträchtige Ideen entstanden, von denen auf den zukünftigen Tagungen mehr zu hören sein wird.

Mit mehr als 300 registrierten Teilnehmern lag die Konferenz auf ähnlichem Niveau wie die bisherigen Veranstaltungen. Die sehr hohe Beteiligung zeigt klar, dass nach den Covid-19-Beschränkungen der letzten Jahre ein Nachholbedarf besteht. Viele Teilnehmer stiegen in den Pandemiejahren in die Branche ein und waren zum ersten Mal dabei. Andererseits waren die nur 73 eingereichten Beiträge ein Tiefststand. Als einen möglichen Grund vermutet der Programmausschuss auch hier Nachwirkungen der Covid-Eindämmungsmaßnahmen.

Die nächste Fachtagung Hochspannungstechnik plant der ETG Fachbereich Q2 für den November 2024 wieder in Berlin. In den folgenden Abschnitten werden einige Ergebnisse der Fachvorträge und Tutorials vorgestellt.

Bild: Polypropylenkabel unterschiedlicher Betriebsspannungen

| ETG Fachbericht 169

Energiekabel

Energiekabel bildeten aufgrund der weltweit einzigartigen HVDC-Projekte und dem grundsätzlichen Kabelvorrang in Deutschland einen wesentlichen Schwerpunkt der Veranstaltung.

Technische Eigenschaften und Umweltaspekte von Polypropylen-isolierten Mittel- und Hochspannungskabeln stellte Prof. Uwe Schichler, Technische Universität Graz, dar. Hochspannungskabel werden heute nahezu ausschließlich mit dem Isolierstoff vernetztes Polyethylen VPE hergestellt. Allerdings verlangt VPE einen hohen Energieaufwand bei der Herstellung und kann nur eingeschränkt recycelt werden. Polypropylen PP scheint vergleichbare oder bessere technische Eigenschaften, deutlich geringere klimawirksame Emissionen bei der Kabelherstellung und eine sehr guten Recyclingfähigkeit aufzuweisen. Zudem erlaubt Polypropylen eine maximale Betriebstemperatur von 110°C. Eingesetzt wird dieser Isolierstoff bisher bei Mittelspannungskabeln in Italien und den Niederlanden. PP-Kabel sind darüber hinaus für Spannungen von bis zu 150 kV bei Wechselspannung in Betrieb und werden voraussichtlich bei den aktuellen HVDC-Kabelprojekten in Deutschland eingesetzt. Bisher gibt es keine Installation in Deutschland.

Bild: Installationsbeispiel und Verlegearten eines Pressurized Air Cable

| ETG Fachbericht 169

Gasisolierte Leitungen mit Druckluft als Isoliermedium wurden durch Dr. Holaus, Schweiz, als „Pressurized Air Cables“ vorgestellt. Diese - zwar nicht neue - Idee ermöglicht den Ersatz von SF6 und soll weitere Vorteile mit sich bringen: geringere Impedanz, reduzierte Verluste, einfacherer Betrieb. Verschiedene Tests beweisen die Einsetzbarkeit momentan bis 145 kV und 2500 A. Eine Anwendung wäre der Ersatz von Hochspannungs-Freileitungen in Wohngebieten oder von SF6-gefüllten Leitungen.

Bild: Kumulierte Anzahl an ausgelieferten Einheiten von SF6-freien Alternativen

| ETG Fachbericht 169

Alternative gasisolierte elektrische Betriebsmittel

Für SF6-isolierte Betriebsmittel insbesondere Schaltanlagen wird die neue F-Gase VO mit Spannung erwartet, die eine weitere Stärkung klimafreundlicherer Alternativen bringen soll. Die außerordentliche Wirksamkeit von Schwefelhexafluorid SF6 als Treibhausgas zwingt Politik, Hersteller und Anwender zum Handeln. Der aktuelle Entwurf der F-Gase-Verordnung sieht einen beschleunigten Ausstieg differenziert nach Spannungsebenen vor. Auf Hersteller und Anwender kommen große Herausforderungen zu, diesen sicheren Übergang zu bewältigen. Dr. Bernhard Lutz stellte den neuen VDE FNN Hinweis „SF6-freie Betriebsmittel in der Energieversorgung“ vor. SF6-freie Produkte für den Mittelspannungsbereich sind seit 2004 verfügbar, für Hochspannung seit etwa 10 Jahren. Dies umfasst gasisolierte Schaltanlagen bis 145 kV, Leistungsschalter bis 145 kV und 3150 A Nennstrom bzw. 40 kA Ausschaltstrom, Wandler bis 420 kV, GIL bis 420 KV und 5000 A Nennstrom, siehe Bild 3. Die Broschüre soll den Anwendern den Einstieg in das Thema erleichtern und gibt Ihnen einen Überblick über die derzeitigen Alternativ-Technologien, und deren Verfügbarkeit und Produktreife, differenziert nach Spannungsebenen. Die Veröffentlichung der Broschüre ist noch für 2022 geplant.

Andererseits merkten Teilnehmer der Fachtagung an, dass der Anteil der klimawirksamen Emissionen von SF6 nur 0,03 % beträgt, [2]. Zudem müsse für eine Umweltbilanz nicht nur die Gasfüllung betrachtet werden, sondern die Gesamtemissionen über die Lebensdauer. Die Gesamtemissionen von Ersatzprodukten liegen unter Umständen auf demselben Niveau wie bei SF6-gefüllten Betriebsmitteln, da größere Abmessungen nötig werden.

Bild: Alterung von Transformatoren

| ETG Fachbericht 169

Prüfen, Diagnostik und Monitoring

Im traditionell stark vertretenen Themenkomplex Prüfen, Diagnostik und Asset Management betrafen viele Veröffentlichungen die Teilentladungsmessung, insbesondere bei Gleichspannung. Auch der Weiterbetrieb herkömmlicher Betriebsmittel im fluktuierenden Stromnetz der Energiewende fand große Aufmerksamkeit. Aus dem Forschungsprojekt AHtra mit 36 Projektpartnern und mehr als 3500 Transformatoren stellte Herr Niklas Schmidt Statistiken zum Alterungs- und Ausfallverhalten von Leistungstransformatoren in der DACH-Region vor. Bild 4 zeigt einen berechneten Lebensdauerverbrauch als Funktion der Betriebsjahre. Im Rahmen der statistischen Sicherheit kann keine klassische Badewannenkurve erkannt werden. Erklärt wird dieses Ausfallverhalten mit der effektiven Werksprüfung, die Frühausfälle verhindert, und der geringen Belastung von Netztrafos, weswegen diese eher wegen geänderter Netzbedingungen ausgesondert werden als aufgrund von Alterung.

Tabelle: Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei AC- und DC-Teilentladungsmessung

| Tutorial der CIGRE WG D1.63 „Partial Discharge Detection under DC Stress”, Paris, 2022

Tutorials von Cigre-Arbeitsgruppen

Große Aufmerksamkeit fanden die Tutorials von Cigre-Arbeitsgruppen, welche am ersten Veranstaltungstag präsentiert wurden. Prinzipiell sind alle Arbeitsgruppen der Cigre angehalten, ihr erarbeitetes Wissen durch Tutorials an die Fachcommunity weiterzugeben. Bei der Fachtagung Hochspannungstechnik präsentierten Leiter oder Mitglieder der Arbeitsgruppen 6 Tutorials in zwei parallelen Sessions. Themen waren: Isoliersysteme bei kryogenen Temperaturen, On-site-Zusammenbau und Reparatur von Transformatoren, Prüfungen an Kabeln nach der Verlegung, Betriebsmittel bei Spannungen oberhalb Um, elektrische Performance SF6-freier Gase sowie TE-Messung bei Gleichspannung, Tabelle 1. Die wesentlichen Arbeitsergebnisse der Cigre Arbeitsgruppen können als technische Broschüren bei www.e-cigre.org heruntergeladen werden, für Cigre-Mitglieder ist dieser Service sogar kostenlos.


koch-bild

Maik Koch, Prof. Dr.-Ing., Hochschule Magdeburg-Stendal,
Stellv. Leiter des FB Q2 „Werkstoffe, Isoliersysteme und Diagnostik“

Fotos


Tagungsband ETG-Fachbericht 169: VDE Hochspannungstechnik

ETG-Fachbericht 169

| VDE Verlag

Beiträge der ETG-Fachtagung, 8. – 10. November 2022, Berlin
2022, ISBN 978-3-8007-5978-1  ISSN 1432-3419

Ergebnisse der Teilnehmerbefragung

Sponsoren und Aussteller

Sponsoren und Aussteller

| VDE

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